Heute bin ich über den Twitter-Account des Deutschen Fachjournalisten-Verbands auf die frisch veröffentliche Studie des DFJV zur Wissenschaftskommunikation in Deutschland gestoßen, die sich in der Pressemeldung vollmundig mit der Überschrift „Der Weg aus dem Elfenbeinturm: Wissenschaft kommunizieren“ ankündigt. Besagte Studie wurde vom DFJV finanziert und am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) der Universität Bielefeld durchgeführt. Genauer gesagt führte das Team Pansegrau/Taubert/Weingart/Förster eine Online-Befragung unter „…7.460 Wissenschaftler aus den übergeordneten Wissenschaftsbereichen Natur-, Lebens-, Ingenieur-, Geistes- und Sozialwissenschaften…“ durch, wie u.a. aus der Pressemeldung und der Studie zu lesen ist. Die Studie kann über die Seiten des DFJV als PDF heruntergeladen werden – was ich mal getan habe, um sie mir genauer anzuschauen.
Die Eckdaten
Wie bereits erwähnt wurden 7.460 Wissenschaftler online im Zeitraum vom 26.07.2010 und dem 08.08.2010 befragt. In der Studie ist dann weiter zu lesen, dass 1357 Personen zumindest begonnen haben den Fragebogen auszufüllen und 779 Personen die Umfrage auch beendet haben (also alles im Rahmen der aus der Literatur zu Online-Befragungen bekannten Werten).
Der Fragebogen umfasste Fragen zur innerwissenschaftlichen Kommunikation, zu Massenmedien und Öffentlichkeit, zu den Motiven für/gegen die Vermittlung gegenüber einer nicht-fachspezifischen Öffentlichkeit und zur Beteiligung an öffentlichen Veranstaltungen. Bemerkenswert ist hierbei, dass ein großer Teil der Fragen auf diesen letzten Bereich entfiel.
Das Fazit
Im Laufe der Studie kristallisiert sich an mehreren Stellen die Kernthese heraus, dass hauptsächlich die klassischen Arten der Wissenschaftskommunikation wie Pressemitteilung, Pressekonferenzen, Präsenzveranstaltungen (v.a. Vorträge) und die Bearbeitung journalistischer Anfragen dominieren. Obwohl es sehr gute Beispiele dafür gibt, ist von „moderner Wissenschaftskommunikation“ im Web und im Web 2.0 (interaktive Websites, Blogs, Twitter, Facebook, etc.) kaum ein Wort zu lesen. In der Diskussion fehlen diese gar komplett. So ist es nicht verwunderlich, dass in der Pressemitteilung zu lesen ist, dass die Studie zum Schluß kommt, dass
Wissenschaftler den verschiedenen Formen der Wissenschaftskommunikation positiver gegenüber stehen, als es das traditionelle Bild suggerieren mag. Wissenschaftskommunikation im Sinne von Berichtspflicht und im Interesse des Fachs (Ressourcenbeschaffung und Nachwuchsrekrutierung) setzt sich sukzessive durch. Allerdings bedient sich bislang lediglich eine Minderheit regelmäßig der breiten Palette an Kommunikationsformaten. Es bleibt zu hoffen, dass die Bereitschaft zur Kommunikation an eine nicht-fachliche Öffentlichkeit an Intensität und Varianz nach und nach zunimmt. (Quelle)
Die Schwachstellen
Ich weiß nicht, ob ich bloß ein bißchen empfindlich bin oder die Studie wirklich so beklagenswert ist, aber ich habe mich schon ein paar Mal bei der Lektüre des Papiers aufgeregt. Ich bin noch nicht ganz durch, möchte aber im Folgenden schon kurz auf diese ersten Aufreger eingehen und einige der – in meinen Augen – Schwachstellen der Studie aufzeigen:
- Die Ausrichtung der Studie
Schon beim zum Begriff der Wissenschaftskommunikation merkt man m.E. eine stark “ einsnullige“ Ausrichtung der Studie (oder gar Denkweise der durchführenden Wissenschaftler?).
Hier setzt man beispielsweise den Begriff der “ …Kommunikation ‚der’ und ‚über die’ Wissenschaft mit einer unspezifizierten aber möglichst breiten Öffentlichkeit…“ mit Veranstaltungen gleich („Damit sind Aktivitäten wie die ‚Jahre der Wissenschaft’, ‚Lange Nächte der Forschung’ und /oder ähnliche Stadtfeste in Verbindung mit Wissenschaft gemeint.“). Im zweiten Fall, der „…Kommunikation der Wissenschaft über die Massenmedien bzw. auch umgekehrt der Massenmedien über die Wissenschaft“, meint man vornehmlich die klassische Pressearbeit (Zeitungen, Magazine, Fernsehen).
Äh bitte? Wo sind die bereits oben erwähnten Websites, Blogs, Twitter- und Facebook-Accounts, die bereits viele Wissenschaftsorganisationen anbieten und einige Wissenschaftler schon sehr erfolgreich nutzen????
Anekdote am Rande: bereits auf Seite 2 ist vom BMBW, dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft zu lesen. Vielleicht sollte jemand den Kolleginnen und Kollegen erklären, dass besagtes Ministerium nun schon seit einiger Zeit Bundesministerium für Bildung und Forschung heißt und mit BMBF abgekürzt wird. Aber naja… - Die Befragtenstruktur
In Abschnitt 3, der Beschreibung der Stichprobe und Einschätzung der Datenqualität, lässt sich dann nachlesen, dass „…dass sich die Stichprobe nahezu ausschließlich aus Professoren zusammensetzt. 89,2 % der Stichprobe gehören dieser Statusgruppe an, gefolgt von 8,1 % Dozenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern sowie 2,6 % Lehrbeauftragten.“ Eine solche Verteilung ist nahezu entgegengesetzt der Verteilung der Realität.
Frage ich mich doch an dieser Stelle, ob wirklich die Professoren diejenigen im Wissenschaftsbetrieb sind, die sich mit der aktiven Wissenschaftskommunikation maßgeblich befassen? Ich denke nein. - Die Altersstruktur
Laut der Studie beträgt das Durchschnittsalter innerhalb der Stichprobe 56,1 Jahre. Es „…zeigt sich, dass sämtliche Altersgruppen bis 65 Jahre leicht oder mäßig unterrepräsentiert sind und die Gruppe der über 65jährigen stark überrepräsentiert ist.“ Der Clou: „Die Befragung schließt dabei eine recht große Anzahl an nicht mehr in Dienstverhältnissen befindlichen emeritierten Professoren mit ein.“
Auch hier stellt sich die Frage ob wirklich die Professoren diejenigen im Wissenschaftsbetrieb sind, die sich vorrangig mit der aktiven Wissenschaftskommunikation befassen, zumal wenn Sie quasi nicht mehr im Dienst sind? Ich denke nein. - Die Gruppierung der Wissenschaftskommunikatoren
Als „massenmediale Wissenschaftskommunikatoren“ gelten der Studie nach eine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich durch die folgenden Aktivitäten in den letzte 24 Monaten herausheben:
(a) Herausgabe von mehr als 10 Pressemitteilungen, (b) Beantwortung von mehr als 10 Presseanfragen, (c) Verfassen von mehr als 6 Beiträgen zu Wissenschaftsseiten / zum Feuilleton, (d) Einsenden von mehr als 6 Forschungsberichten an die Presse und (e) Abhalten von mehr als 6 Pressekonferenzen.
Auch hier frage ich mich, wo die Blogs, Twitter-Accounts, Facebook-Engagements so vieler Wissenschaftler abgeblieben sind?
- niemand, der heutzutage in Deutschland eine Studie zur Wissenschaftskommunikation in Deutschland durchführt, kommt am Web 2.0 im weitesten Sinne vorbei (oder kann es gar gänzlich ausblenden). Dazu nutzen bereits zu viele Wissenschaftsorganisationen, Forschungseinrichtungen und Universitäten einzelne Formen dieser Kommunikation, seien es Twitter, Facebook, Blogs oder gänzlich andere. Zudem nutzen viele Wissenschaftsjournalisten diese Kanäle zu Informationszwecken, wie auch schon die Trendstudie „Wissenschaftskommunikation“ von Alexander Gerber in Teilen zeigte.
- um den Stand der Wissenschaftskommunikation zu erfassen, sollte man nicht nur an der obersten Schicht kratzen – „oberste Schicht“ ist hier auch auf den wissenschaftlichen Status innerhalb der Wissenschafts-Community bezogen. Es reicht schlichtweg nicht die Professoren zu befragen. Hier muss man an die Basis – dorthin, wo die tagtägliche Arbeit in der Wissenschaftskommunikation erledigt wird. Auch dorthin, wo sich Nutzungstrends in den modernen Kommunnikationsmitteln oftmals zuerst durchsetzen, bevor die „Oberen“ überzeugt werden.
- die Betrachtung von Präsenz(!)veranstaltungen und klassischer Presse- oder Medienarbeit greift zu kurz, um umfassend den Stand der Wissenschaftkommunikation in Deutschland zu erfassen.
Ich werde die Studie noch weiter durcharbeiten, vielleicht findet sich noch etwas interessantes, oder gar wegweisendes. Aus dem jetzigen Stand meiner Kenntnis, ist die Studie für mich allerdings wenig wert. Die durchführenden Wissenschaftler mögen mir an dieser Stelle meine Unverfrorenheit verzeihen – ich möchte sie weder angreifen, noch ihre Arbeit in den Dreck ziehen. Aber für mich manifestiert sich in der vorliegenden Studie ein altbackener und leider viel zu versteifter Blick auf ein Themengebiet, von dessen Lebhaftigkeit ich in den letzten 2 Jahren begeistert bin!
Übrigens hat Wenke Richter vor dem Hintergrund der Altersstruktur der Befragten in ihrem Blog digiwis die Frage nach einem Altersstrukturproblem gestellt:
Damit scheint das Bestreiten neuer Wege in der Wissenschaftskommunikation auch wohl ein Altersstrukturproblem zu sein. Nun stellt sich die Frage nach der Ursache. Fehlt es an Kenntnissen über neue Medien und ihre Wirkmöglichkeiten bei den Professoren oder am Willen zur Nutzung?
Sicher hat die Altersstruktur einen gewissen Einfluss auf den Umgang mit neuen Medien. Ich denke aber, dass die Ursache der zurückhaltenden Nutzung von neuen Medien in den Kreisen von Professoren in den oberen Altersklassen bei weitem nicht ausschließlich im Alter begründet liegt. Sicher steht man Systemen, in denen man nicht selbst unterwegs ist kritischer gegenüber. Und bestimmt hat man eine vorsichtigere Meinung von Werkzeugen, die man selbst noch nicht kennt. Aber ich vermute auch, dass viele Professoren in ihrer Arbeit so festgefahren sind (neben Forschungs- und Lehrauftrag ja vor allem auch in der Verwaltung – Anträge, Anträge, Anträge – und den repräsentativen Aufgaben), dass sie sich nicht die Mühe machen wollen/können sich mit neuen Technologien und deren Wirkpotentialen auseinander zu setzen. Das Eingehen von Risikos im Sinne von „Wir probieren das mal, ohne dass wir wirklich wissen, was es uns bringt“ ist bestimmt nicht sonderlich ausgeprägt.
Aber ich kann mich täuschen.
Sehr guter, kritischer Beitrag und voller Elan 🙂 Ich würde mich auch manchmal freuen, wenn seitens von „Professoren in den oberen Altersklassen“ mehr Neugier auf „neue Medien“ erkennbar sein könnte.
Aber wer weiss, nachdem der Pabst seinen Segen sozialen Netzwerken gegeben hat, kann sich das noch ändern 😉
PS. Link: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,741276,00.html
Vielen Dank für den Kommentar! Ich hätte ja nie gedacht, dass der Papst mal eine Rolle in meinen Kommentaren spielt – aber ich gewähre ihm eine Audienz hier! 😉
Was ich im Beitrag nicht erwähnte: ich treffe immer wieder auf Professoren, jungen wie älteren Semesters, die das Thema Wissenschaftskommunikation sehr viel offener betreiben, als das Gros ihrer Kolleginnen und Kollegen. Da wird nicht nur selbst zum Zwecke der Wissenschaftstransparenz und der Öffentlichkeitsinformation getwittert, gefacebookt und gebloggt, sondern auch noch die jüngeren Kolleginnen und Kollegen animiert es ihnen nachzutun. Hiervon braucht es sicher mehr, aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben!
Interessanter Beitrag zum Thema, ist eine Studie doch immer etwas lang und ich habe ja noch andere zu lesen…Jetzt bin ich kein Wissenschaftler, blogge aber schon eine Weile (seit 2009) bei den Scilogs und kann die Vermutung am Ende Ihres Artikels bestätigen. Verwaltung ist etwas, das leider einen großen Teil der eigentlich spannenden Arbeit ausmacht. Habe mal einen Zootierarzt besucht, der meinte, dass er fast mehr im Büro säße als im Zoo Tiere zu behandeln… Und dann fehlt einigen wohl der Nerv, sich noch auf neues Terrain zu wagen.
Außerdem braucht es für ein Blog auch ein gewisses Unterhaltungs-Potential. Wenn man einfach nur ganz trocken kleine Updates da reinschreibt, wird das niemand freiwillig lesen. Ein schönes Beispiel dafür, wie man das richtig macht, ist Helmut Wicht mit seinem Blog Anatomisches Allerlei bei den Brainlogs.
Danke für Deinen Kommentar Sören!
Stimmt, Unterhaltungswert ist sicher ein nicht zu verachtender Punkt bei der Bloggerei (oder allgemeiner der Kommunikation) von Sachverhalten aus der Wissenschaftswelt – spätestens wenn man die sogenannte nicht-fachspezifische Öffentlichkeit adressieren will.
Den Druck verwaltungstechnischer Arbeiten höre ich zunehmend immer wieder. Da wollen Anträge für neue Forschungsprojekte geschrieben werden (auf EU-Ebene ja auch gern mal sehr umfangreiche Pamphlete), bereits gewährte Forschungsgelder wollen den Spendern gegenüber rechenschaftlich verbucht werden und nicht zuletzt wollen Artikel bewertet, korrigiert oder zumindest gelesen werden. Da kommt schon einiges zusammen.
Was wäre hier die Lösung? Anstelle von Posten (finanziell wie personell) für Kommunikation, lieber Posten für Verwaltung in den Budgets für Forschungsprojekte vorsehen? Damit der Wissenschaftler Zeit genug hat, um sich genügend den kommunikativen Aspekten zu widmen? Ich weiß es nicht…
Sollte dieser Wissenschaftler eine gewisse Affinität zur Kommunikation haben, wäre das sicher eine gute Idee. Umgekehrt, wenn dem nicht so ist, wäre das aufgewendete Geld leider „verschwendet“. Täuscht mich mein Eindruck, dass die Strukturen sehr eng sind? Ansonsten könnte man doch einfach nach Bedarf vorgehen. Sollte ein Wissenschaftler selbst in der Lage sein, sein Fachgebiet kompetent und unterhaltsam zu vertreten und darüber hinaus vielleicht noch bereit sein über solche Themen zu berichten, die ihn einfach bewegen, dann wäre ein Verwaltungsposten nicht schlecht (der sich derweil mit mit den ungeliebten Anträgen rumschlagen darf). Ist das nicht der Fall, wäre es vermutlich besser, man würde nach einer wissenschafts- und Medien-affinen Person Aussschau halten, die das dann übernehmen könnte (sowas wie uns zB.^^).
PS: Ich habe oben „Sie“ geschrieben, vermutlich weil wir noch nie wirklich miteinander Kontakt hatten. Lass das mal ändern. Sind ja beide noch jung^^ Du hast das ja schon getan.
Das Problem liegt mE vor allem in der Herangehensweise der Studie selbst. Statistisch ist das sicherlich nicht so wirklich repräsentativ, wenn man sich die angeschriebenen und die tatsächlich vollständigen Fragebögen anguckt. Böse Zungen könnten jetzt behaupten, dass die Absender mit der Auswahl der Zielgruppen sich selbst reflektieren und die Reaktionen und das Ergebnis damit schon beeinflusst haben …
Irgendwie habe ich jetzt aber auch gar keine Lust, mich durch diese Studie zu arbeiten …
@Sören: So soll es sein! 😉
@Chris: ja, ich kann nachvollziehen, was die bösen Zungen da behaupten könnten. Ich bin jetzt durch die Studie durch und muss sagen, dass sie sowohl unter der Betrachtung meiner Kritikpunkte, als auch ohne deren Beachtung nicht sonderlich überzeugende, oder gar neue Ergebnisse beinhaltet. Schade.